Titel: Die sechste Jahreszeit
Regisseur: Jan Soldat
Jahr: 2015
Land: Deutschland
Dauer: 37 Min.

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Gewalt. Sex. Nacktheit. Scham. Unterwerfung. Dominanz. Tabus. All das, vor dem dich deine Eltern gewarnt haben; was du nicht sehen willst; worüber du nicht sprechen darfst. Jan Soldat zeigt es. Unverhüllt, kurz und bündig. Der deutsche Regisseur taucht ein in die sexuelle Unterwelt, um tabuisierte Phantasien und Perversionen zu dokumentieren. Von Zoophilie, Sklaverei und BDSM handelten seine früheren Kurz-Dokumentarfilme.

In seinem jüngsten Film, Die sechste Jahreszeit, verfolgt der Regisseur eine Woche lang das Leben eines homosexuellen Paares, Dennis und Arwed. Eine ganz besondere Woche, denn anlässlich seines Geburtstags bekommt Arwed von seinem Lebenspartner ein überraschendes Geschenk: ein Wellnessurlaub im Knast. Ein entfernter Ort, versteckt am Rande der Stadt, der von manchen als eine grausame Folterkammer, von anderen als ein innovativer Spielplatz gesehen wird, ein Ort der Freiheit in Ketten, wo Fesseln aufreizender als Dessous auswirken. Das ist nur Geschmacksache. Dort wird Arwed in eine Gefängniszelle gelegt und nach einem strikten Zeitplan von seinem Partner überwacht und begleitet. So werden sie in ein fetischistisches Spiel von Macht und Kontrolle involviert.

Die Dynamik zwischen den Protagonisten ist an dieser Stelle besonders interessant zu beobachten. Der introvertierte Dennis erhält nun die dominante Position gegenüber Arwed, dennoch dominiert der letztere die Stimmung durch seine Kommentare und seine feste Haltung. Die gruselige Atmosphäre im Knast und das klaustrophobische Gefühl, das die Zuschauer durch Arweds Knechtschaft und Immobilität bekommen, werden durch den bitteren Humor der Protagonisten gedämpft. Arweds Clown-artige Uniform und fortlaufende mürrische Kommentare entspannen die Stimmung, aber auch Dennis trägt mit seinem falschen Gesang zur Auflockerung der Szene bei. Somit wird ein gewisses Gleichgewicht zwischen den schwer ertragbaren Szenen und den humoristischen Momenten erreicht. Abwechselnd werden die sexuelle Praktiken und die Porträtisierung der Figuren in den Fokus gerückt. Diese Dynamik wird geschickt vom Regisseur erfasst, der trotz seiner diskreten Präsenz im Film ein scharfes Auge auf die Entwicklung der Geschehnisse und die Beziehung der Protagonisten hat. Wie ein loyaler Hund verfolgt die Kamera von morgens bis abends das Paar, überwacht sie von hinter der Tür aus, beobachtet durch Gitter hindurch und bestimmt die klare, einfache Bildkomposition.

Die Schlussszene zeigt Arwed und Dennis zu Hause auf der Couch, wie sie auf ihren Wellnessurlaub zurückblicken und über ihre Beziehung sprechen. An dieser Stelle verschwinden die Eindrücke vom Knast aus dem visuellen Gedächtnis der Zuschauer und was bleibt ist ein einfaches Bild: ein liebevolles Paar. Zwei Menschen, die einen Grad der Vertraulichkeit und Intimität erreicht haben, an dem sie sich aufeinander komplett verlassen können.

Die sechste Jahreszeit, wie die anderen Filme von Jan Soldat, könnte auf den ersten Blick für Porno gehalten werden, was aber eine oberflächige Interpretation wäre. Hinter den im Film explizit hervorgehobenen Sexszenen versteckt sich die Absicht des Regisseurs, die Grenzen des menschlichen Körpers zu untersuchen. Ebenso wird die Thematik im Film weder befürwortet noch kritisiert.

Die große Leistung des Films besteht in seiner objektiven Beobachtung und in der distanzierten Haltung, die Jan Soldat selbst in der Mitte des Geschehens aufrechterhält. Er wertet nicht und zieht keine Schlussfolgerungen. Seine Taktik ist, zuerst die Zuschauer an eine gewisse soziale Schamgrenze zu bringen um sie dann mit einem Teil einer Subkultur, implizit mit ihren Vorurteilen davon, zu konfrontieren. Seine Absicht ist es, gesellschaftlich geprägte Tabus in Frage zu stellen und sie eventuell zu brechen.

Ein 37-minütiger Prozess, ein angemessener Zeitraum, um überzeugend von Empörung zu Trivialität zu gelangen, und Normalitätsvorstellungen auf den Kopf zu stellen.